SCHLAFMANGEL AUSWIRKUNGEN

Schlaf. Schlafexperte & Humanrecharger Andre Alesi warnt vor dramatischen Folgen von Schlafmangel und erklärt, warum sich Unternehmen zwar um Äpfel und Fitnessangebote, aber kaum um Schlaf kümmern.

Viele Manager und Führungskräfte kokettieren damit, wie wenig Schlaf Sie brauchen. Uhren-Manager Jean-Claude Biver zum Beispiel sagte in Interviews, er stehe täglich um 3 Uhr auf und beginne um 4 Uhr der Arbeit, so habe er jeden Tag zwei Stunden Vorsprung auf die Konkurrenz. Was halten Sie davon, André Alesi?

Die Schlafforschung hat hierzu eine klare Meinung. Wer jede Woche deutlich zu wenig schläft oder gar einmalig am Stück 24 Stunden wach bleibt, verhält sich genauso wie ein Ausgeschlafener mit 1,0 Promille Alkohol im Blut. Würden Sie eine Maß Bier auf nüchternen Magen trinken und danach wichtige geschäftliche Entscheidungen treffen? Klingt verrückt. Wenig nächtliche Ruhe wird oft als Stärke, Einsatzbereitschaft und Leistungsstark empfunden. Kurz: heroisiert. Das ist ein großer Irrtum.

Welche Folgen hat Schlafentzug konkret auf das Verhalten am Arbeitsplatz?

Weniger Konzentration, höhere Fehlerrate, deutlich steigende Risikobereitschaft. Aber für mich persönlich ist die Zunahme des unethischen Verhalten gegenüber seinen Kollegen und Mitarbeitern am erstaunlichsten.  Wer pro Nacht im Schnitt nur 6-7 Stunden schläft, hat im Vergleich zu seinem ausgeschlafenen Kollegen rund 3,7 Fehltage aufgrund Krankheit mehr. Insgesamt gehen durch die direkten (Arztkosten, Medikamente etc.) und indirekten (Fehltage etc.) Kosten von Schlafstörungen in Deutschland 1,56% des Bruttosozialprodukts verloren. Das sind 60 Milliarden Euro.

Wie Verhalten sich denn unausgeschlafene Mitarbeiter im allgemeinen?

Nun ja, meist relativ pragmatisch. Schauen Sie sich gerne einmal in Produktionen oder in der Nachschicht um. Sie werden sehr viel Produkte wie z.B. Red Bull oder andere Energizer zu sehen bekommen. Das ist im übrigen auch ein „gutes“ Zeichen von einer unausgeschlafenen Gesellschaft. Die Absatzkurve von Red Bull in den letzten 10 Jahren… Mehr als verdreifacht… Mittlerweile mehr als 6 Milliarden Dosen. Und auf der anderen Seite versuchen Menschen abends mit Schlafmitteln mehr oder weniger „einfach“ wieder zu Ruhe zu finden. Auch hier steigt die Absatzkurve in der westlichen Welt rasant an. Achten Sie doch einfach mal auf die Werbung, sie werden erstaunt sein, wieviel tolle, bunte Tabletten hier verfügbar sind.

Tragen Unternehmen diesem Umstand Rechnung?

Leider noch viel zu wenig. Grundsätzlich besteht das gesunde Leben aus vier Säulen: Bewegung, Ernährung, Psychologie und eben Schlaf. In den ersten drei Feldern werden zunehmend Angebote in Unternehmen platziert. Gerade sportliche Aktivitäten oder Kooperationen mit Ernährungsberatern sind hier zu nennen. Allerdings wird das Thema Schlaf nur von einigen innovativen Unternehmen bespielt. Das bedeutet, dass eine wichtige Grundlage für Leistung und Erholung komplett ausgeklammert wird. So, als wäre es mit der Abgabe von Äpfeln oder einer Blutdruck Messung getan.

Was ist mit Ruheräumen und modernen Powernapping Stationen?

Diese Entwicklungen sind grundsätzlich als positiv zu bewerten. Allerdings werden solche Maßnahmen oftmals eingeführt ohne die Mitarbeiter mit auf die Reise zu nehmen. Folglich sind die Räume oder Stationen meist leer oder gerade in der Mittagszeit immer durch die gleichen Personengruppen belegt. Wichtig ist hier auch zu verstehen, dass ein Powernapping nicht dafür gedacht ist, ein Schlafdefizit auszugleichen, sondern neue Energie freizusetzen. Mitarbeiter müssen in diesem Prozess begleitet und geführt werden.

Schlafen wir generell weniger als früher?

Ja ganz klar. Vor 20 Jahren schliefen wir im Schnitt pro Nacht 38 Min mehr! Darüber hinaus schlafen wir nicht nur kürzer, sondern auch schlechter. Laut DAK Studie aus dem Jahre 2017 sind 43% der Erwerbstätigen bei der Arbeit müde und ein weiteres Drittel (31%) regelmäßig erschöpft. Seit 2010 sind die Schlafstörungen bei Berufstätigen um 66% angestiegen. Wenn ich als innovatives und nachhaltiges Unternehmen diese Fakten nicht angehe, dann verliere ich wertvolles Potential.

Sie werden in der Presse oder in Unternehmen auch als „Humanrecharger“ bezeichnet. Können Sie uns diesen Begriff erklären?

In unserer Gesellschaft beschäftigen wir uns z.B. mit Fragen zum Elektroantrieb wie: „Haben wir genug Tankstellen um die Akkus unserer Elektroautos wieder aufzuladen?“ und ich frage mich relativ einfach: „Welche Möglichkeiten haben Unternehmen, Sportler oder Mitarbeiter ihre leeren Akkus wieder aufzuladen?“. Somit liegt der Vergleich zum Humanrecharging relativ nahe.

In Deutschland wird aktuell ein wirtschaftlicher Abschwung befürchtet. Oftmals werden in einer Krise Leistungen für die Gesundheit gekürzt. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Natürlich kann ich verstehen dass hier ein Kostendruck besteht. Schließlich bin ich selber Unternehmer mit rund zwanzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Aber eines dürfen wir nie vergessen. Gerade in der Krise, gerade dann wenn der Wind stark bläst, benötigen wir starke und gesunde Mitarbeiter. Mitarbeiter die ihr volles Potential abrufen, die gesund sind und die auch mit dem Druck in so einer Situation umgehen können.  Die auch mit dem Druck schlafen können. Nur so kommt man auch gestärkt aus einer Krise und verliert nicht seine besten Beschäftigen.

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