AKKUSTAND ROT

Vor einiger Zeit hatte ich es mal so formuliert: «Das Büro wandelt sich vom Ort der Arbeit zum Ort der Begegnung. Die Technologie macht das Arbeiten von überall und jederzeit möglich. Immer mehr Unternehmen ermöglichen ihren Mitarbeitenden neue Freiheiten in Gestalt des mobil-flexiblen Arbeitens. Es gilt das Credo: Wo der Mensch nicht mehr am Kabel hängt, wird die Arbeit zur Spielwiese.» Anstelle sich also altmodisch im Kabelsalat zu verheddern und physische Präsenz am Arbeitsplatz mit Produktivität gleichzusetzen, worken die modernen Wissensarbeitenden zwar durchaus hard, vor allem jedoch smart.

Der panische Blick- wo ist die nächste Steckdose?

Der Mensch als Herrscher über die digitalen Technologien und gesegnet mit nie gekannten Freiheiten, ist zwar ein heroisches Bild, die Wahrheit zeichnet bisweilen allerdings ein anderes. Und zwar eins, in denen Menschen an Ladekabeln hängen wie an einer Nabelschnur. Bisweilen mit leicht panischem Blick auf der Suche nach einer Steckdose. Der Akkupegel korreliert mit dem persönlichen Stimmungsbarometer. Akku und Ladekabel als Hemmnis und Möglichmacher gleichermassen, auf der Suche und der Sucht nach mobiler Freiheit. So löst der 1-Prozent Ladebalken mehr als nur Unbehagen aus. Wobei mir der Gedanke gefällt, dass auch elektronische Geräte mit Akku einem lebendigen Rhythmus von auf- und entladen, arbeiten und regenerieren unterworfen sind. Denn genau das geht in unserem Bewusstsein häufig unter: Dass wir bei all der möglichen immer- und überall-Arbeit auch Zeit brauchen, um unsere «Batterien» wieder aufzuladen. Meine Meinung dazu ist: Die Kabelfreiheit des modernen flexiblen Arbeitens ist zumindest teilweise eine Illusion, denn ein Akku befreit nicht (nur), er weist uns vor allem Grenzen auf. Viel zu oft hängen wir am Ladekabel wie der Komapatient am Tropf.

Andocken, runterfahren, Energie tanken- Maschine Mensch

Apropos Koma. Wir sind erschöpft und die Redensart, dass der eigene Akku auf Rot steht, ist häufig zu hören. Die technologisch unterstützte Freiheit soll uns zu Beherrschern der Zeit machen. Dennoch häufen sich die Klagen, genau davon immer weniger zu haben. Das Ladekabel als Versorgungsgarant für lückenlose Informationsversorgung. Ohne vollen Akku und gar ohne Ladekabel fühlen wir uns nackt, hilflos, abgeschnitten.

Alle diese Dinge wie ständige Erreichbarkeit und der quasi permanente Onlinemodus, führen zu einem massiven Energieverlust in unserem System. Und das Schlimme daran ist, dass wir es meistens nicht rechtzeitig bemerken. Denn ca. 95 Prozent unserer psychischen Aktivitäten laufen unbewusst ab.

Unsere Einstellung zur Erholung ist oft veraltet und besteht im Durchschnitt aus Nachtschlaf, Badewanne, Weinglas und ein paar Wochen Jahresurlaub. Für viele Berufe und Leben funktioniert dieses Erholungskonzept aber nicht mehr, denn ebenso wie sich die Art der Belastung verändert hat, benötigen wir andere Dinge um uns zu erholen- und abzuschalten.  «Wir können das Rad nicht mehr zurückdrehen. Aber wir müssen innerhalb dieses modernen Lebens lernen, die inneren Akkus wieder aufzuladen. Dafür sollte jeder Mensch ganz eigene, individuelle Rituale entwickeln.» sagt die Psychologin Maja Storch.

Nur die Maschinen werden smarter

Das Problem ist nur, dass viele oft gar nicht mehr wissen, wie sich selbst in einen Zustand der Behaglichkeit und Ruhe versetzen können. Denn leider sind noch keine USB Ladekabel für Körperöffnungen verfügbar. So einfach ist es also leider nicht. Akkus und Geräte werden immer leistungsfähiger, der Mensch kommt da nicht mehr richtig mit. Und wie fragte der Journalist Max Scharnigg vor kurzem so treffend: «Warum zur Hölle funktioniert alles immer besser, nur ich nicht?»

Text: Ilona Schönle

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